Showdown zur Verkehrspolitik im Stadtrat vor der Wahl in München: Autofahrer contra Radler

Um das zweite Maßnahmenpaket zur Umsetzung des Radentscheids in München ging es am 4. März 2020 im Stadtrat. Mit knapper Mehrheit wurden zehn weitere Projekte gegen die Stimmen von CSU, FDP und Bayernpartei beschlossen. Unversöhnlich stehen sich kurz vor den Stadtratswahlen die Fronten gegenüber. Auch, weil die CSU zwar ursprünglich den Zielen des Radentscheids zugestimmt hat und jetzt aber das Thema Verkehrswende dafür verwendet, um Lagerwahlkampf gegen Rot-Grün zu machen. 

Plakataktion der CSU im Stadtratswahlkampf in der Kreillerstraße in Berg-am-Laim

                         Plakataktion der CSU im Stadtratswahlkampf in der Kreillerstraße in Berg-am-Laim

(Update 5.3.2020) Wahlkampfgetöse haben die Sprecher des Bündnisses Radentscheid von der Sitzung des Planungsausschusses am Mittwoch im Stadtrat bei der Diskussion über die nächsten Maßnahmen zur Umsetzung des Bürgerbegehrens erwartet. So war es dann auch. CSU-Stadtrat Hans Podiuk nahm sogar das Wort „Anschlag“ in den Mund, der sich gegen Handel, Handwerk und Gastronomie in der Stadt richten würde. Bürgermeister und CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl relativierte die Zustimmung seiner Fraktion zur Umsetzung der Ziele des Bürgerbegehrens. Man habe die damals schon gesagt, dass man jede einzelne Maßnahme prüfen wolle. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Jens Röver, warf den Christsozialen vor, dass Thema Verkehrswende für den Wahlkampf zu missbrauchen. 

Zehn neue Maßnahmen lagen dem Ausschuss zur Entscheidung vor. CSU, FDP und Bayernpartei lehnten sie in Bausch und Bogen komplett ab. Obwohl auch Maßnahmen dabei waren, die das Radlfahren erheblich sicherer machen. Wie die Abfahrt am Gebstattelberg in der Au, wo bisher kein Radlweg vorhanden ist und durch den Bau zu Lasten des Parkstreifens die Situation entschärft werden soll. Da nützte es auch nichts, dass ÖDP-Stadtrat Johann Saurer die Christsozialen darauf hinwies, dass sie erst kürzlich ein Mobilitätskonzept abgenickt haben. Dort steht auch, wie im Text des Bürgerbegehrens, drin, dass dem Fußgänger-, Fahrrad- und öffentlichen Verkehr Vorrang vor dem Autoverkehr gegeben wird. 

So wurde das zweite Maßnahmenpaket zur Umsetzung des Bürgerbegehrens nur knapp mit den Stimmen von SPD, Grüne, Linke und ÖDP angenommen. Folgende Straßen sollen überplant werden: Stiglmaierplatz, Rosenheimer Straße zwischen Rosenheimer Platz und Gasteig (stadteinwärts), Martin-Luther-Straße, Lothstraße zwischen Dachauer Straße und Georgenstraße, Winzererstraße zwischen Lothstraße und Schwere-Reiter-Straße, Pilgersheimer Straße zwischen Freibadstraße und Edlinger Platz, Gebsattelstraße zwischen Mariahilfplatz und Regerstraße (Gebsattelberg), Ungererstraße, Marsstraße zwischen Pappenheimstraße und Arnulfstraße, Querung Stadelheimer Straße – Verbindung Schwarzenbergerstraße / Traunsteiner Straße.

Neue Radwege bauen, bestehende Wege ausbauen und rot markieren sowie eine sichere Führung des Radverkehrs in Kreuzungsbereichen sind nur einige der Maßnahmen, die nun geprüft werden. Auch dieses zweite Maßnahmenbündel wurde mit Vertretern des Bürgerbegehrens „Radentscheid“ abgestimmt, die sich allerdings die Aufnahme des Isarradweges an der Widenmayerstraße in das Maßnahmenbündel gewünscht hätten (siehe Erstmeldung unten). Anwohnende, Gewerbetreibende und Bezirksausschüsse werden in die weiteren Planungen einbezogen, ehe der Stadtrat final über eine Umgestaltung entscheiden wird. Ein weiteres Maßnahmenbündel wird voraussichtlich Mitte 2020 folgen. Der Stadtrat hatte sich zum Ziel gesetzt, die Forderungen des Radentscheids bis 2025 weitestgehend zu realisieren.


(Erstmeldung 3.3.2020) Rückblende in den Juli 2019: 90.000 Münchnerinnen und Münchner haben das Bürgerbegehren zum Radentscheid unterschrieben. Der Stadtrat schließt sich mit großer Mehrheit dem Votum an und wendet damit einen Bürgerentscheid ab. Breitere und sicherere Radlwege sowie ein lückenloses Radverkehrsnetz werden beschlossen. Die Ziele des Radentscheids sollen bis 2025 weitgehend umgesetzt werden. „Dabei sollen diese Maßnahmen prioritär durch Umwidmung von Flächen für Kfz-Fahrspuren oder Kfz-Parkplätze und gegebenenfalls auch zu Lasten der Leistungsfähigkeit des Kfz-Verkehrs umgesetzt werden„, stand im Text des Bürgerbegehrens. Auch die CSU konnte sich damals für die Ziele des Begehrens erwärmen und stimmte im Stadtrat ebenfalls zu. 

Als es dann zum Schwur kam und die ersten Maßnahmen umgesetzt wurden, kam der große Aufschrei von Seiten der mitregierenden Christsozialen im Stadtrat. Der Wegfall von Parkplätzen auf einer Länge von 400 Metern beiderseits der Fraunhoferstraße zugunsten von Radwegen sorgte für großen Wirbel. Ebenso, wie die geplante Halbierung der Fahrspuren nach der Sanierung auf der Ludwigsbrücke.  Andreas Schuster von GreenCity, Sprecher des Bündnisses Radentscheid, sieht die anstehende Debatte im Stadtrat so: „Nun wird sich zeigen, ob die Parteien ihren Beschluss zur Umsetzung der Bürgerbegehren erst nehmen, oder nur dem Druck von der Straße ausweichen wollten. Nach dem Motto ‚Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass‘ kann die Sicherheit für Radelnde nicht erhöht werden.“

Am Mittwoch wird im Stadtplanungsausschuss im Stadtrat das zweite Maßnahmenpaket mit konkreten Baumaßnahmen beraten werden. Darunter welche in der Ungererstraße, am Gebsattelberg, Rosenheimer Straße stadteinwärts oder der Marsstraße, meist mit Wegfall von Fahrstreifen oder Parkstreifen. Der Vorsitzende des Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC) in München und Radentscheid-Sprecher, Andreas Groh, attestiert dem Planungsreferat, dass es in kürzester Zeit eine gute Beschlussvorlage ausgearbeitet habe. Allerdings kritisiert er, dass die dringende Verbesserung des Isarradweges an der Widenmayerstraße nicht aufgenommen wurde. Hier würde es immer zu brenzligen Situationen wegen der geringen Breite des Zweirichtungsradweges kommen. 

Bürgermeister Manuel Pretzl (CSU) hatte in einem Dringlichkeitsantrag zudem gefordert, dass noch vor der Wahl weitere 30 Maßnahmen zur Umsetzung des Radbegehrens vorgelegt werden. Das Planungsreferat hat diese als Anlage in der Beschlussvorlage für Mittwoch beigefügt. Postwendend plakatierte die CSU hurtig in der Endphase vom Kommunalwahlkampf auch an den Straßenabschnitten, wo ein Umbau noch gar nicht vom Stadtrat beschlossen wurde, die provokante Botschaft: „Rot-Grün beseitigt hier ihre Fahrspur. Wir stoppen den Dauerstau.“

So auch in der Kreillerstraße in Berg-am-Laim (siehe Foto). Die Rahmenbedingungen: Hohe Verkehrsstärke beim Kfz-Verkehr, hohe Betroffenheit der Buslinien, gerade mal 700 Radler in acht Stunden, relativ breiter Radweg und breiter Fußweg. Mit Beschluss vom Dezember 2019 hat der Stadtrat vereinbart, dass bestimmte Kriterien eingehalten werden müssen, damit Planungen weiter verfolgt werden. „Insbesondere darf es durch diese Maßnahmen zu keiner Verschlechterung des öffentlichen Personennahverkehr … kommen.“, so eines der Kriterien. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Umbau der 2,7 Kilometer in der Kreillerstaße später überhaupt in eine konkrete Beschlussvorlage aufgenommen, geschweige denn beschlossen wird, steht in den Sternen. 

Bündnissprecherin und ÖDP-Stadträtin Sonja Haider warnt: „Wenn wir bis 2025 fertig sein wollen, dann müssen wir dringend ins Arbeiten kommen und können uns nicht von der CSU und ihrem Wahlkampfgetöse aufhalten lassen. Ich fühle mich weiterhin den 160.000 Unterschriften verpflichtet und möchte die Verwaltung dahingehend unterstützen, damit wir unser Ziel, ein vollständiges sicheres Radwegenetz, wirklich erreichen können.“  Und ADFC-Vorstand Groh versteht das statische Denken bestimmter politischer Parteien nicht. Komfortable Radwege mit stressfreien Kreuzungen und Einmündungen, die gerne angenommen werden, würden zu weniger Autoverkehr mit weniger Staus und Umweltbelastung führen, argumentiert er. 

Robert Allmeier