Münchner Erklärung als Gegenpol zu den Corona-Spaziergängen – Fast 15.000 Unterschriften

3. Februar 2022

Seit einigen Wochen finden in München sogenannte unangemeldete Spaziergänge gegen Corona-Maßnahmen statt, welche lautstark den Eindruck erwecken wollen, die Mehrheit der Stadtgesellschaft zu repräsentieren. Sie sind von Verschwörungsideologen, Antisemiten und rechtsextremen Gruppierungen unterwandert. Mit der Münchner Erklärung rufen Bürgerinnen und Bürger in einer Online-Petition zum Zusammenhalt und für Demokratie auf. 

Lichtinstallation Rathaus München
Lichtinstallation auf Rathaus-Fassade – München für Zusammenhalt, Solidarität, Demokratie und Vertrauen an die Wissenschaft / 2.2.2022

(Update 3.2.2020) Mit einer Lichtinstallation an der Rathausfassade bedankt sich die Stadt München bei den Bürgerinnen und Bürgern sowie beim Personal in Pflege, Medizin und Wissenschaft für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Solidarität und das Vertrauen in die Wissenschaft (siehe Foto oben)

Die Online-Petition zur Münchner Erklärung hat inzwischen das Ziel von 15.000 Unterstützern fast erreicht. 14.439 haben inzwischen unterschrieben. 


(Erstmeldung 15.1.2022) Nachdem Querdenker aus München seit Wochen die stationären Kundgebungen auf der Theresienwiese ablehnen, verabreden sie sich jeweils Mittwoch in einschlägigen Telegram-Chats zu unangemeldeten sogenannten „Spaziergängen“ in der Münchner Innenstadt. Die Stadt München hat in Allgemeinverfügungen die unangemeldeten Veranstaltungen verboten und auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Recht bekommen, dass dieses Vorgehen gesetzeskonform ist. Bis zu 1.000 Polizeibeamte werden jede Woche gebunden, diese Allgemeinverfügungen durchzusetzen.

So auch Mitte Januar, als eine Polizeikette im Rosental einen Aufbruch einer größeren Menschenmenge zu einem Spaziergang in Richtung Sendlinger Tor unterbinden wollte. Auf einem Video-Livestreams eines Aktivisten der Querdenker-Szene ist zu sehen, wie sich ein Rädelsführer – ein bekannter Neonazi aus Kolbermoor, der auch früher in der Pegida aktiv war – in der ersten Reihe vor den Polizisten zu den nachdrängenden Personen umdreht und deutlich ruft „Einhängen und durch, oder?“. Dies wird auch prompt von den Umstehenden befolgt und sie durchbrechen die Polizeikette.

Mehrheit der „Spaziergänger“ kommt von auswärts

Das ist nur ein Beispiel, das belegt, dass wie die Querdenker-Szene von Verschwörungsideologen, Antisemiten und rechtsextremen Gruppierungen unterwandert ist. Mit der „Münchner Erklärung“ wollen die Initiatoren erreichen, das bewusst wird, dass 3.000 bis 5.000 lautstarke Demo-Teilnehmer nicht die Münchner Bevölkerung repräsentieren. Wobei davon die meisten noch nicht mal aus München sind, sondern von auswärts zu den Protesten anreisen. Eine Umfrage Anfang Januar auf dem einschlägigen Telegram-Kanal der Münchner Coronamaßnahmen-Gegner mit 2.740 Beteiligten wurde angegeben, dass lediglich 43 Prozent der „Spaziergänger“ aus München kommen; zwölf Prozent reisen sogar mehr als 50 Kilometer an, um in der Landeshauptstadt auf die Straße zu gehen.

Online-Petition gestartet 

Bereits am 5. Januar 2022 startete Stadträtin Micky Wenngatz (SPD), Vorsitzende vom Verein „München ist bunt“ die Online-Petition „Münchner Erklärung – Aufruf zum Zusammenhalt und für Demokratie“. Der Verein begründet die Initiative: „Als Mehrheit der Gesellschaft dürfen wir hier nicht tatenlos zusehen und schweigen. Wir müssen klarmachen, dass der weitaus größte Teil der Münchner*innen mit Vernunft und Verstand auf die Herausforderungen dieser Zeit reagiert und für die Verantwortung übernehmen, die besonders unter der Pandemie und ihren Folgen leiden.“

Dem Aufruf haben sich unter anderem Oberbürgermeister Dieter Reiter, die Bürgermeisterinnen Katrin Habenschaden (Grüne), Verena Dietl (SPD), die Fraktionsführungen aller im Stadtrat vertretenen Parteien und Wählergruppen außer der AfD, (Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, der Kabarettist Christian Springer, TV-Moderator Jürgen Kirner (Brettl-Spitzen), Kulturveranstalter Till Hofmann, Stadtdekan Dr. Bernhard Liess und Dr. Mirjam Zadoff, Direktorin NS-Dokumentationszentrum München angeschlossen. Ziel ist, dass 15.000 Personen die Petition unterstützen. 

Wortlaut der „Münchner Erklärung“ 

Seit Wochen finden deutschlandweit und auch in München unangemeldete Demonstrationen unter der trügerischen Bezeichnung „Spaziergänge“ gegen die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie statt. Von Anfang an fanden sich bei den sogenannten Anti-Corona Demos antisemitische und geschichtsverfälschende Plakate sowie Angehörige rechtsextremer Parteien. Nahezu täglich ist über eine immer stärkere Radikalisierung der Teilnehmenden zu lesen.

Gleichzeitig arbeiten in den Krankenhäusern Mediziner:innen und Pflegepersonal am Limit. Es ist uns wichtig, allen Mitarbeiter:innen in Klinik- und Pflegeeinrichtungen unseren Dank auszusprechen. Wir wissen, wie wesentlich und unentbehrlich ihre Arbeit ist und haben tiefen Respekt, dass sie diese Arbeit auch unter den Extrembedingungen in Pandemiezeiten aufopferungsvoll verrichten. 

Die Mehrheit der Menschen in München, in ganz Deutschland, verhält sich vernünftig, solidarisch und rücksichtvoll. Restaurants und lokale Einzelhändler halten sich an geltende Regeln und setzen die 2-G-Regel um, Kultureinrichtungen haben zum Wohl aller Menschen ihren Betrieb stark eingeschränkt oder eingestellt, viele Unternehmer:innen versuchen trotz Ausfällen mit 3 G, Quarantänen und Tests ihre Produktion auch in der Pandemie aufrecht zu erhalten. Existenzen sind gefährdet.

Sie alle wissen, dass die Bekämpfung der Pandemie eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Sie kann nur gemeinsam bewältigt werden. Es kann nicht akzeptiert werden, dass die Anstrengungen zur Eindämmung des Coronavirus und die Entbehrungen durch das verantwortungslose Handeln einer Minderheit schlecht geredet und gefährdet werden. Wir vertrauen auf die Empfehlungen der Wissenschaft, um größeren Schaden von allen abzuwenden.

Wir haben das große Glück, in einer freien, friedlichen und demokratischen Gesellschaft zu leben. Demokratie und die Grundrechte schützen jeden einzelnen und geben jedem und jeder die Möglichkeit, sich einzubringen. Daraus entsteht auch eine Verantwortung eines jeden, einer jeden für die Gemeinschaft. Dieser Zusammenhang ist der Mehrheit der Menschen, die in unserer Stadt leben, bewusst.

Das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht und hohes Gut, das eine wesentliche Voraussetzung für unsere demokratische Grundordnung ist. Wer allerdings Versammlungen ohne rechtliche Grundlage und ohne Verantwortliche Woche für Woche organisiert, tritt dieses Grundrecht mit Füßen. Die Parolen einer lautstarken Minderheit, dass der Staat wie eine Diktatur handle, sind absurd und verhöhnen alle Opfer von Diktaturen, in der Vergangenheit und heute.

Natürlich ist sachliche Kritik an der Coronapolitik bzw. einzelnen Maßnahmen im Rahmen eines demokratischen Diskurses berechtigt und auch wichtig. Es ist keinesfalls unser Ansinnen dies zu unterbinden. Aber, allen sollte klar sein: Die überregionalen Initiator:innen der Corona-Proteste nutzen die Pandemie als Vorwand, um Verschwörungsideologien zu verbreiten, demokratische Prozesse zu diskreditieren und die Gesellschaft zu spalten. Teils gehen sie aggressiv gegen Polizist:innen und und Journalist:innen vor und versuchen Andersdenkende einzuschüchtern. Besonders perfide ist es, wie schon vorgekommen, wenn gezielt kleine Kinder als „Schutzschilde“ gegen notwendige Polizeimaßnahmen eingesetzt werden (*).

Die Unterzeichnenden verurteilen die von den Versammlungen und Aufmärschen ausgehende verbale und auch körperliche Gewalt scharf. Wer im vermeintlichen Schutz der Anonymität Straftaten begeht und Polizeibeamt:innen angreift und sogar verletzt, der stellt sich gegen unsere Wertegemeinschaft.

Eine Gemeinschaft mit den im Verborgenen bleibenden Organisatoren, die gezielt das Versammlungsrecht umgehen und ihre Identität verschleiern möchten, führt in die Irre. Wer mit Rechtextremen und Demokratiefeinden mitläuft, macht sich mitschuldig.

Wir rufen daher alle Mitbürger:innen dazu auf, sich nicht an Anti-Corona-Demonstrationen und sogenannten „Spaziergängen“ zu beteiligen, die sich gegen Maßnahmen richten, die eine schlimmere Ausbreitung des Corona-Virus verhindern sollen.