Der Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich sowie der Münchner Journalist und Buchautor Ulrich Chaussy-Wunderlich haben das Verdienstkreuz erster Klasse des Bundesverdienstordens verliehen bekommen. Sie hatten mit ihrem Engagement dafür gesorgt, dass der Oktoberfest-Anschlag nicht mehr als Tat eines Einzeltäters abgetan wird, sondern dass er ein rechtsextremer Terrorakt war. 

Kultusminister Michael Piazolo (re.) händigt das Bundesverdienstkreuz den Aufklärern des Oktoberfest-Attentats Ulrich  Chaussy-Wunderlich (li.) und Werner Dietrich aus
Quelle Foto: Kultusministerium Bayern, Alexandra Beier
Kultusminister Michael Piazolo (re.) händigt das Bundesverdienstkreuz den Aufklärern des Oktoberfest-Attentats Ulrich Chaussy-Wunderlich (li.) und Werner Dietrich aus
Quelle Foto: StMUK Bayern, Alexandra Beier

Am 26. September 1980 explodierte am Haupteingang des Oktoberfestes eine Bombe, bei der 12 Personen getötet und 211 Personen verletzt wurden, davon 68 schwer. Der Abschlussbericht zwei Jahre später stempelte den Bombenleger als Einzeltäter ab, der aus persönlichen Motiven gehandelt habe. Es ist zwei Männern zu verdanken, dass diese Version heute nicht mehr Bestand hat. Der eine ist Rechtsanwalt Werner Dietrich, der als Opferanwalt dran blieb, obwohl ihm von den Behörden nicht nur Steine, sondern ganze Felsen in den Weg gelegt wurden. Der andere, der Journalist und Buchautor Ulrich Chaussy-Wunderlich, der alle Ungereimtheiten öffentlich machte und mit akribischer Recherche belegen konnte, dass damals kein Einzeltäter, sondern ein aktives Mitglied der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann die Bombe gelegt hatte.

„Die Ordensträger erinnern uns daran, dass man sich nicht mit bequemen Antworten zufriedengeben darf. Sie sind ihrer inneren Stimme gefolgt, haben die richtigen Fragen gestellt und haben sich nicht vom richtigen Weg abbringen lassen. Ihrem Sinn für Gerechtigkeit ist es zu verdanken, dass wir das Oktoberfest-Attentat heute als das erkennen, was es war: Ein rechtsextremer Terroranschlag. Herzlichen Dank für so viel Zivilcourage!“ sagte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) anlässlich der Übergabe des Verdienstkreuzes erster Klasse des Bundesverdienstordens an die Aufklärer des Oktoberfest-Attentats im Jahr 1980 in München.

Gerechtigkeit ist sein Lebensmotto

Der Rechtsanwalt Werner Dietrich setzt sich seit 1982 für die Opfer und Hinterbliebenen des Oktoberfest-Attentats ein und kämpft für eine angemessene Entschädigung der Opfer. Er gab sich schon vor vierzig Jahren nicht damit zufrieden, dass das Attentat lange Zeit als Einzeltat betrachtet wurde, und geht bis heute mit großer Ausdauer und Beharrlichkeit den Hintergründen nach. Dietrich war wesentlich daran beteiligt, dass die Generalbundesanwaltschaft 2014 die Ermittlungen zum Attentat wieder aufnahm und 2020 die Tat als rechtsextremistischen Akt einstufte. Neben seinem Lebensthema setzt er sich in vielfältiger Weise für die Zivilgesellschaft ein. Von 1999 bis 2011 war er Vorsitzender der „Kolibri – Interkulturelle Stiftung“ für internationale, interkulturelle und interreligiöse Verständigung in München. Darüber hinaus ist Dietrich Gründungsmitglied der „Initiative Bayerische Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e. V.“, die sich für den Rechtsschutz von Minderheiten engagiert. 2018 wurde Werner Dietrich bereits mit der Bayerischen Verfassungsmedaille in Silber ausgezeichnet. Kultusminister Piazolo würdigt Dietrichs lebenslangen Einsatz: „Gerechtigkeit ist Ihr Lebensmotto – in Ihrem Beruf als Rechtsanwalt genauso wie bei Ihrem gesellschaftlichen Engagement. Als Jurist weiß ich, dass es nicht immer einfach ist, zwischen Prozessmaximen und Gesetzestexten noch den Pfad der Gerechtigkeit zu entdecken. Sie haben diesen Pfad nie verlassen – auch wenn die Widerstände groß waren. Herzlichen Dank für Ihren herausragenden Einsatz für unsere Zivilgesellschaft!“

Er füllt Leerstellen gesellschaftlicher Erinnerung auf

Der Journalist Ulrich Chaussy-Wunderlich machte sich vor allem als Autor zahlreicher Publikationen über den Rechtsextremismus in Deutschland einen Namen. Schon kurz nach dem Oktoberfest-Attentat begann er, die Einzeltäterthese zu hinterfragen. Die Ergebnisse seiner Recherche veröffentlichte er bereits 1985 in seinem Buch „Oktoberfest. Ein Attentat“. Er ließ sich vom damaligen geringen öffentlichen Echo nicht entmutigen und sorgte mit weiteren Publikationen dafür, dass das Attentat in der öffentlichen Erinnerung präsent blieb. Dem parallelen Einsatz von Ulrich Chaussy-Wunderlich und von Werner Dietrich ist es zu verdanken, dass die Generalbundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren 2014 wieder aufrollte und in ihren Ermittlungen die rechtsextremen Motive des Täters Gundolf Köhler zutage brachte. Ulrich Chaussy-Wunderlich erforschte und dokumentierte in zahlreichen Publikationen weitere Leerstellen in der gesellschaftlichen Erinnerung – unter anderem die Hintergründe des Mordes an Shlomo Lewin, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Nürnberg, nur wenige Monate nach dem Oktoberfest-Attentat. Kultusminister Piazolo über Ulrich Chaussy-Wunderlichs Lebensleistung: „Ihre Stimme hat Gewicht. Mit Ihren Beiträgen halten Sie unserer Gesellschaft immer wieder den Spiegel vor. Hass, Hetze und Antisemitismus sind leider noch immer präsent in der Öffentlichkeit. Deshalb brauchen wir wache Geister, die sich für Aufklärung, Versöhnung und Frieden einsetzen. Wir brauchen Menschen wie Sie. Herzlichen Dank für Ihren herausragenden Beitrag zur öffentlichen Debatte über den Rechtsextremismus in Deutschland!“